Abwasserverband und TU Darmstadt starten Forschungsprojekt
Arzneimittel helfen, gesund zu werden und gesund zu bleiben. Sie sind ein Segen für die Menschheit, haben aber auch Nebenwirkungen. Nicht auf der Packungsbeilage stehen mögliche Folgen für die Umwelt durch die Einnahme der Pillen. Denn der Körper scheidet bis zu 60 Prozent der Wirkstoffe wieder aus. Außerdem ist es weit verbreitet, nicht eingenommene Zäpfchen, Tabletten oder Salben unsachgemäß über die Toilette zu entsorgen. In beiden Fällen erreicht der Chemie-Cocktail über die Kanalisation die Kläranlagen, wo er nicht komplett entfernt wird und somit in den Gewässerkreislauf gelangt. Der Abwasserverband Langen/Egelsbach/Erzhausen will dieses Problem durch ein Forschungsprojekt in den Griff bekommen. In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Darmstadt plant der Verband den Bau einer Reinigungsanlage, die Spurenstoffe aus Arzneimitteln, aber auch aus Haushalts- und Pflegemitteln eliminiert.
Das Vorhaben dürfte weit über die Verbandsgrenzen hinaus Beachtung finden. „Schließlich geht es darum, dass wir einen Reinigungsgrad erreichen, der uns eine dem Trinkwasser vergleichbare Qualität liefert“, erklärt Verbandsgeschäftsführer Werner Hötzel. Weil dieses Ziel von übergeordnetem Interesse ist, übernimmt das Land Hessen 50 Prozent der Forschungskosten von insgesamt 270.000 Euro. Den Rest trägt der Verband.
Dessen Zentralkläranlage im Wald bei Schloss Wolfsgarten ist für das Projekt geradezu prädestiniert. Mitte der neunziger Jahre wurde sie mit Millionenaufwand auf den damaligen Stand der Abwassertechnik gebracht. Nach rund 15 Jahren Laufzeit sind abermals Erneuerungen erforderlich. „Dabei wollen wir künftige Reinigungsziele berücksichtigen“, betont Hötzel. Ein denkbarer Weg sei, die bestehende Abwasserreinigung um eine Anlage zur Entfernung von Spurenstoffen zu ergänzen.
Von Vorteil ist, dass der Verband als einziger in Hessen zur Reinigung des Kläranlagenablaufs schon seit 2005 eine Membranfiltrationsanlage betreibt, die für das Forschungsvorhaben genutzt werden kann. Bisher dient sie ausschließlich der Gewinnung von hygienisch einwandfreiem Brauchwasser, beispielsweise für die Reinigung und Spülung der Becken und für die Bewässerung der Grünflächen. Der Verband muss dafür nicht auf Grundwasser zurückgreifen.
Nach Angaben von Professor Peter Cornel von der TU Darmstadt, des wissenschaftlichen Leiters des Projekts, soll sowohl die Membranfiltration als auch ein Aktivkohleverfahren zur Anwendung kommen. „Wir wollen verschiedene Kombinationsmöglichkeiten der beiden Verfahren untersuchen und die technisch und ökonomisch beste Variante zur Entfernung der Spurenstoffe ermitteln.“
Derzeit gibt es in der Abwasserverordnung dafür keine Grenzwerte, sondern allenfalls Empfehlungen. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit bis zu EU-weiten Auflagen sein. Cornel hält es deshalb für ausgesprochen wichtig, exemplarisch an einer Verbandskläranlage, zumal mit einem Krankenhaus und mehreren Altenheimen im Einzugsgebiet, schon jetzt Erfahrungen über Eliminationsverfahren, deren Leistungen, Kosten und Praxistauglichkeit zu sammeln. Diese könnten dann eine solide Entscheidungsgrundlage für die künftige Abwasserreinigung nicht nur in Langen, sondern auch für andere Kläranlagenbetreiber sein.
In der europäischen Union sind rund 3000 verschiedene Arzneiwirkstoffe im Umlauf. Hinzu kommen hunderttausende Tonnen von Haushalts- und Pflegemitteln. Mit ihnen gelangen chemische Stoffe ins Abwasser, die wegen der geringen Konzentrationen in den heutigen Kläranlagen nicht ausreichend gefiltert und gereinigt werden können. „Wir bewegen uns hier im Bereich des Nanogramms, das ist ein billionstel Teil eines Kilogramms“, sagt Cornel. Moderne Messverfahren würden es heute ermöglichen, Rückstände selbst in diesen minimalen Dimensionen nachzuweisen.
Auch wenn es sich um verschwindet geringe Einträge handelt, darf nach Aussage des Wissenschaftlers das Vorkommen von Spurenstoffen im Wasserkreislauf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Auch kleinste Mengen könnten große Auswirkungen auf das Öko-System haben.
Ein Hauptaugenmerk liegt auf den Hormonen, die beispielsweise durch die Einnahme der Antibabypille in die Gewässer gelangen. Sie stehen im Verdacht, bei männlichen Fischen oder Fröschen Veränderungen hervorzurufen, die zur Bildung weiblicher Geschlechtsorgane führen. Für die Zukunft sehen Wissenschaftler deshalb die Gefahr, dass sich ganze Tierarten nicht mehr vermehren können und vom Aussterben bedroht werden. Zudem schließen sie nicht aus, dass die Spurenstoffe im gereinigten Abwasser ein Risiko für den Menschen darstellen.
Nach positiven Beschlüssen der Verbandsversammlung und des Verbandsvorstandes befindet sich die Forschungsanlage in der Langener Kläranlage derzeit im Aufbau. Sie wird voraussichtlich noch vor Ostern in Betrieb gehen. Standort ist der Rohrkeller. Ein Teilstrom des Kläranlagenablaufs wird hier über die Membran- und Aktivkohlefiltration geführt. Wirkungsgrad und Kosten werden detailliert erfasst. Spätestens nach zwei Jahren sollen verwertbare Ergebnisse auf dem Tisch liegen.